Foto: Maria Nitschmann

» Es geht mir immer um das Essenzielle

Gründerin und Geschäftsführerin Rike Kappler im Gespräch

Wir schreiben 1990, das Jahr der deutschen Wiedervereinigung. Man hört Oasis und die ersten Techno-Beats. Namibia wird unabhängig, der Grüne Punkt tritt in Kraft und die Bäckerin Rike Kappler in Münster an, um sich in einer Männerdomäne selbstständig zu machen: Sie gründet die ökologisch-biologische Vollkornbäckerei cibaria an der Bremer Straße. Dreißig Jahre und Millionen Brote später schaut sie zurück – und mit einem Lächeln nach vorn.

Rike, erstmal herzlichen Glückwunsch zu 30 Jahren cibaria. Als du damals gestartet bist, warst du ökologisch, politisch, aber auch feministisch motiviert. Ist cibaria eigentlich immer noch eine Frauenbäckerei?

Die Schwerpunkte liegen heute woanders. Es gibt ja große Fortschritte im Selbstverständnis von Frauen und Männern. Aber auch wenn wir bei cibaria einige Männer in Leitungspositionen haben, herrscht immer noch eine weibliche Dominanz. Die Männer, die bei uns arbeiten, können und wollen sich in dieses System integrieren. Sie schwingen mit, denken mit und haben es verinnerlicht. Im Grunde agieren wir damit spiegelbildlich zur Gesellschaft. Auch wenn wir eine Bundeskanzlerin haben, ist es nicht so, dass die Macht gleich verteilt wäre.

In den 90er Jahren herrschte Aufbruchstimmung. Das Ziel der aktiven Bio-Szene: die ökologische Umgestaltung. Wie schaust du auf die Entwicklung zurück?

Meine Bilanz lautet: Wir sind raus aus der Nische. Nach den sehr kleinen Strukturen des Beginns entwickelten sich Mitte der 90er Jahre die größeren Biomärkte. Auch mir ging es darum, mit cibaria sichtbarer zu werden, wirtschaftlich eine Relevanz zu erreichen, mehr Höfe beim ökologischen Anbau zu fördern. Da war viel Dynamik im Spiel.

Das änderte sich in den Nullern. Die Stimmung wurde anders, auch die Motive der Menschen, die sich bei uns bewarben. Es war insgesamt eine echte Durststrecke.

Umso mehr freue ich mich über das, was jetzt im Rahmen der Fridays-for-Future-Bewegung geschieht. Die neue Generation ist engagiert, will die Welt ändern, ein Gegengewicht schaffen. Die Jungen sind wieder so drauf wie ich vor 30 Jahren, aber natürlich weiterentwickelt, reflektierter und strukturierter. Es herrscht Aufbruchstimmung. Die Bio-Läden waren früher genau so klein wie heute die Unverpackt-Läden. Da ist also vieles möglich. Ich bin jedenfalls zufrieden und glücklich über das, was gerade geschieht - bei uns in der Firma, aber auch unter unseren Kundinnen und Kunden.

Was war deine größte Herausforderung in all den Jahren?

Die Finanzkrise. 2007 haben wir nochmal eine Investitionsrunde gemacht. Es ging nicht anders, wir haben uns totgearbeitet und mussten größere Öfen kaufen, um Entlastung zu erzielen. Die Banken taten sich schwer, und ich habe Blut und Wasser geschwitzt. Hinzu kam eine Überbelastung im Privatleben. Beides zusammen hat mich schließlich in die Knie gezwungen: Ich musste mich mit einem Burnout in Behandlung begeben.

Als Unternehmerin eine extrem schwierige Situation.

Richtig, aber rückblickend war diese Zeit sinnvoll. Ich habe damals viel gelernt: Selbstfürsorge, andere mehr in Verantwortung setzen, nicht alles bestimmen wollen, Freiräume verteilen. Das war ein wichtiger Schritt für die Demokratisierung der Firma. Mein Wort ist heute viel weniger wert. Und das ist gut so, denn ich habe Leute, die in ihren Themen viel spezialisierter sind. Es entlastet, nicht mehr alle Fäden in der Hand zu haben.

Stichwort Unternehmensnachfolge: Wie stellst du dir die Zukunft des Unternehmens vor?

cibaria soll sich mittelfristig selbst gehören und als innovative Eigentumsform wachsen und gedeihen, möglichst bankenunabhängig. Dafür habe ich bereits Kontakt mit der Purpose-Stiftung aufgenommen, die Bio-Unternehmen wie Waschbär oder Sonett begleitet. Sie sorgt dafür, dass sich niemand persönlich bereichert und die Firma nicht verkauft werden kann. Ansonsten gehört cibaria dann denen, die auch die Arbeit in Tat und Wahrheit täglich leisten. Die Gewinne verbleiben in der Firma, werden reinvestiert und vielleicht noch einem sinnvollen Stiftungszweck zugeführt, zum Beispiel im Bereich der ökologischen Saatgutforschung. Ich finde, das ist eine sehr gute Motivationsgrundlage: Man arbeitet für die Umwelt, für sich selbst und für die, mit denen man Schulter an Schulter das Brot backt.

Im Sommer steht der Umzug zur neuen Produktionsstätte am Hafen an. Was, denkst du, wird sich dadurch ändern?

Die Außenwirkung! Ich glaube, die Menschen werden uns ganz anders wahrnehmen. Eigentlich ist es ganz einfach: Um der Nachfrage gerecht zu werden, brauchen wir mehr Platz. Das einzige, was außergewöhnlich ist, ist der zentrale und spannende Standort. Aber zum einen ist das Hafenviertel seit jeher unser Kiez. Zum anderen verdient das Handwerk, die Arbeit mit den Händen, eine besondere Sichtbarkeit und Wertschätzung. Das ist mein absolutes Lieblingsthema. Auch aus persönlichen Gründen. Mein Vater war Manager, meine Mutter Buchhalterin. Das Intellektuelle hatte großen Stellenwert. Ich habe das immer als Hybris empfunden und mich bewusst für anderes entschieden – für das Essenzielle, die Nahrung. Ich stehe auch privat gerne in der Küche. Jeden dritten Tag kochen wir einfach mehr und verteilen es an die Älteren im Haus. Heute habe ich zum Beispiel Erbsensuppe gekocht und zu den beiden hochbetagten Nachbarinnen getragen. Das ist doch wichtig, oder?

 

 

Interview: Susanne Sparmann

 

 

Es war einmal ...